Paris, 7. November 1938. Der 17-jährige Herschel Grynszpan verübt ein Attentat auf den 29-jährigen Diplomaten Ernst vom Rath in der deutschen Botschaft. Die genauen Motive für die Tat lassen sich nicht eindeutig klären, Grynszpan gibt aber im Verhör an, vor allem aus Rache gehandelt zu haben. Seine Eltern und Geschwister gehören nämlich zu den 17.000 polnischen Juden, die das NS-Regime ohne Vorwarnung Ende Oktober 1938 aus Deutschland nach Polen abgeschoben hat. Da die polnische Regierung ihnen die Einreise verweigert, verbringen Tausende von ihnen mehrere Monate unter menschenunwürdigen Bedingungen an der deutsch-polnischen Grenze.
In Deutschland bietet das Attentat dem NS-Regime einen willkommenen Anlass, ein Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung zu entfachen. Obwohl die Nachricht des Attentats erst am 8. November die deutsche Öffentlichkeit erreicht, kommt es bereits am Vorabend im Raum Kassel und in Magdeburg zu ersten lokalisierten Übergriffen auf Synagogen, jüdische Einrichtungen, Geschäfte und Wohnhäuser.
Am 9. November eskaliert die Gewalt weiter, es finden im Laufe des Tages Ausschreitungen u.a. in Dessau und Chemnitz statt. Zu einem landesweit koordinierten Pogrom kommt es aber erst am späteren Abend. Hitler und die Spitze der NSDAP befinden sich gerade in München, um des missglückten November-Putsches des Jahres 1923 zu gedenken, als die Nachricht vom Tod Raths eintrifft. Mit der Billigung Hitlers hält Propagandaminister Joseph GoebbeIs eine Hetzrede vor Führern von Partei und SA, in der er die bisherigen antijüdischen „Vergeltungsmaßnahmen“ begrüßt und seine Hörer indirekt, aber unmissverständlich dazu aufruft, weitere Aktionen gegen Juden zu organisieren.
Daraufhin werden 1.400 Synagogen und Gemeindehäuser in Brand gesetzt. Jüdische Geschäfte und Wohnungen werden verwüstet und geplündert, jüdische Bürger misshandelt und gedemütigt. Am Morgen des 10. November beginnt dann die Inhaftierung von 30.000 Juden, die in die Konzentrationslager Sachsenhausen, Dachau und Buchenwald verschleppt werden. Obwohl es nach offiziellen Angaben nur 91 Todesfälle gibt, ist die Zahl der Opfer, die entweder während des Pogroms oder in Folge der KZ-Haft sterben, um ein Vielfaches höher.
Unmittelbar nach dem Pogrom werden die Juden aus dem Wirtschaftsleben verdrängt, jüdische Schüler werden aus deutschen Schulen entlassen, und auch der Besuch von Kultureinrichtungen wird ihnen verboten. Das Novemberpogrom markiert eine dramatische Verschärfung der antijüdischen Politik des NS-Regimes und den Übergang von der Diskriminierung zur systematischen Verfolgung der deutschen Juden.